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In diesem Artikel erfahren Sie, warum Sie das 3-Horizonte-Modell für die Bewertung ihrer bisherigen Aktivitäten der digitalen Transformation einsetzen sollten. So können Sie erkennen, inwieweit Sie sich bereits aus angestammten Gefilden herausgewagt und (strategisches) Neuland betreten haben.

Wenn Sie ermitteln wollen, in welchem Ausmaß Sie die umfassenden Potenziale der digitalen Transformation in Ihrem Unternehmen tatsächlich ausschöpfen, können Sie das 3-Horizonte-Modell einsetzen. Mithilfe des Modells können Sie prüfen, wo Sie im Zuge der digitalen Transformation stehen – und ob Sie ggf. zu früh aufgehört oder noch nicht weitgreifend genug gedacht haben. Dabei sollten Sie berücksichtigen, dass sich die digitale Transformation nicht nur auf Produkte und Services auswirken sollte, sondern auch ganze Prozesse und sogar das gesamte Geschäftsmodell umfassen kann. Die besondere Herausforderung für Sie besteht darin, sich bei dieser Analyse vom Status-quo des Horizont 1 zu lösen und weit über den Tellerrand des heutigen Tuns hinauszudenken. Dazu motiviert das 3-Horizonte-Modell.

Abb. 1: Grundkonzept des 3-Horizonte-Modells
Quelle: In Anlehnung an Baghai/Coley/White, 2000, S. 5; Blank, 2015

Die relevanten Inhalte der auf verschiedenen Horizonten angesiedelten Geschäftsmodelle gestalten sich wie folgt (vgl. Abb. 2). Hier können Sie prüfen, welchen Fokus Sie mit Ihrer digitalen Transformation anstreben:

Horizont-1-Geschäftsmodelle

Die Horizont-1-Geschäftsmodelle beschreiben den aktuellen Status eines Unternehmens. Das heute existierende Geschäftsmodell wird abgebildet und ausgeführt. Die dabei entstehenden Erträge und Cashflows stehen im Zentrum der Betrachtung. Diese sind nicht zuletzt auch Voraussetzung dafür, dass Innovationsaktivitäten finanziert werden können. Dieses Kerngeschäft soll ggf. erweitert und/oder verteidigt werden. In diesen reifen Geschäftsmodellen gilt es, vor allem durch inkrementelle Verbesserungen an Produkten und Services sowie an Prozessen das Wachstum zu erhalten und die Profitabilität zu sichern.

Auf Horizont 1 findet meist nur eine inkrementelle (digitale) Optimierung der bestehenden Prozesse statt. Der Fokus liegt dabei meist auf Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen. Dies kann bspw. durch eine Verbesserung des Kundenservices im Service-Center erreicht werden. Oder es wird eine Marketing-Automation im Customer-Relationship-Management-System eingeführt, um die Kundenbetreuung eines E-Commerce-Unternehmens zu beschleunigen und zu individualisieren.

Die Innovationshöhe bleibt hier nach wie vor relativ gering. Auf diesem Horizont verbessern Sie im Kern nur das bestehende Geschäftsmodell in Teilbereichen. So können Sie bestehende Wettbewerbsvorteile absichern und/oder ausbauen. Alle diese Maßnahmen sind wichtig, reichen aber zur strategischen Absicherung Ihres Unternehmens nicht aus.

Horizont-2-Geschäftsmodelle

Auf der Basis des 2. Horizonts entwickeln Sie Optionen für Geschäftsmodell-Innovationen in Bezug auf die Märkte, die Sie heute schon bedienen. Hier können Sie bspw. den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Produktion, Vertrieb und/oder Kundenservice überprüfen. Können Sie bei von Ihnen produzierten Maschinen bspw. Predictive Maintenance einsetzen – d.h. eine „vorausschauende Wartung“. Dabei werden KI-Algorithmen eine Vielzahl von Daten aus, um noch vor einem Maschinenstillstand (bspw. auch bei Aufzügen oder Rolltreppen) notwendige Wartungsarbeiten vorzunehmen.

Im Vertrieb können Sie KI-Systeme einsetzen, um nicht nur Umsatzpotenziale in ihren Kundenbeständen zu entdecken, sondern auch zu ermitteln, welche Angebote, zu welchem Preis, über welchen Kanal, wann zu vermitteln sind. Für den Kundenservice können Sie bspw. über die Entwicklung von Chatbots nachdenken. Oder Sie entwickeln eine Strategie, wie Ihre Angebote so aufzubereiten sind, dass die virtuellen digitalen Assistenten à la Alexa, Google & Co. die – aus Ihrer Sicht – richtigen Antworten liefern. Dies gilt bspw. für die Fragen: „Alexa, welches ist für mich die beste Krankenversicherung?“ oder „OK Google, welche Digitalkamera empfiehlst Du mir für meinen Urlaub in Japan – und wo soll ich sie kaufen“. Viele Manager haben über diese Fragen noch nicht umfassend nachgedacht.

Mit einer solchen Weiterentwicklung Ihrer Geschäftsmodelle können idealerweise bereits erste initiale Erträge erzielt werden, obwohl deren geschäftlicher Höhepunkt oft erst in vier bis fünf Jahren erreicht sein wird.

Horizont-3-Geschäftsmodelle

Die Horizont-3-Geschäftsmodelle sind hochinnovativ (häufig auch disruptiv) und stellen Ansätze vollkommen neuer Geschäftslogiken dar. Hier heißt es für Sie, sich deutlicher vom angestammten Geschäftsfeld zu lösen. Die Herausforderung für Sie besteht darin, zukünftige Wachstumsfelder zu identifizieren – die von Ihren bisherigen Aktivitätsfeldern mehr oder weniger weit entfernt sein können.

Ein Beispiel für ein solches Vorgehen liefert Fuji. Schon früh hat sich der Hersteller Fujifilm aufgrund des Niedergangs der Nachfrage nach klassischen Filmen für Kameras nach neuen Wachstumsmärkten umgesehen (ganz im Gegensatz zu Kodak). Die Kompetenzen, die Fuji bei der Filmherstellung nutze, wurden auf eine ganz andere Branche übertragen – die Kosmetikherstellung. Schließlich ist Kollagen nicht nur ein Hauptbestandteil von Filmen, sondern auch der Haut. So hat Fujifilm jahrelang daran geforscht, die Leuchtkraft von Bildern zu erhalten und Oxidierungen zu verhindern. Spannend dabei ist, dass die ultraviolette Strahlung der Sonne nicht nur Bilder schneller ausbleichen, sondern auch die Haut schneller altern lässt. Bei der Entwicklung entsprechender Kosmetika konnte Fujifilm eine Technologie verwenden, die ursprünglich für die Filmherstellung entwickelt wurde. So hat sich Fuji vom Filmhersteller zu einem der erfolgreichsten Kosmetikhersteller in Asien entwickelt (u.a. mit der Marke Astalift).

Ähnlich innovativ ist L´Oreal vorgegangen. Das Unternehmen steht auf den ersten Blick für seine Kompetenz bei der Herstellung von Kosmetika. Auf den zweiten Blick wird sichtbar, dass es auch über eine hohe Kompetenz bei Haut verfügen muss, um wirksame Produkte zu entwickelt. Von da war es ein logischer Schritt, die Haut-Kompetenz auch in anderen Feldern zu nutzen: Bei L´Oreal war es die Herstellung von künstlich erzeugter Haut aus dem 3D-Drucker. Dieses Gewebe heißt EpiSkin und wird heute von L’Oreal hergestellt.

Solche Beispiele sollen Sie ermutigen, mutig über den Tellerrand des heutigen Tuns hinauszuschauen, um neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Um solche Geschäftsmodelle zu entwickeln, kann eine vertiefende – und über das bisherige Tagesgeschäft – hinausgehende Analyse einzelner Unternehmensfähigkeiten oder Kundengruppen notwendig sein. Hier werden strategische Optionen für disruptive Veränderungen erforscht und Ideen in konkrete Modelle übergeführt. Das Zusammenwirken der verschiedenen Horizonte zeigt zusammenfassend Abb. 2.

ralf t kreutzer

Abb. 2: 3-Horizonte-Modell zur strategischen Analyse der KI-Einbindung
Quelle: Kreutzer, 2018, S. 133

Fazit

Das 3-Horizonte-Modell lenkt Ihre Aufmerksamkeit auf eine besondere strategische Herausforderung. Während auf der Horizont-1-Ebene das Tagesgeschäft bearbeitet wird, muss Ihr Unternehmen parallel auf den Horizont-Ebenen 2 und 3 aktiv sein, um die Zukunft erfolgreich gestalten zu können.

Dafür hat sich in der Management-Sprache der Begriff Ambidextrie (in Englisch Ambidexterity) für „Beidhändigkeit“ eingebürgert. Es geht schlicht darum, heute sowohl das Tagesgeschäft zu meistern als auch die Zukunft auf den Horizonten 2 und 3 zu gestalten. Denn das digitale Zeitalter führt zum immer schnelleren Entstehen und Niedergang von Geschäftsmodellen.

In diesem Teil haben Sie erfahren, welche Herausforderungen mit der digitalen Transformation auf den drei Horizonten verbunden sind. Im 2. Teil erfahren Sie, wie Sie die entsprechenden Aktivitäten in Ihrem Unternehmen organisieren sollten.

Literatur

  • Baghai, M./Coley, S./White, D. (2000): The Alchemy of Growth, Cambridge, Perseus
  • Blank, S. (2015): Innovation at 50x, http://steveblank.com/2015/08/21/innovation-50x-in-companies-and-government-agencies/, Zugegriffen 21.7.2018
  • Kreutzer, R. (2018): Toolbox für Marketing und Management, Kreativkonzepte, Analysewerkzeuge, Prognoseinstrumente, Wiesbaden
  • Kreutzer, R./Neugebauer, T./Pattloch, A. (2017): Digital Business Leadership – Digitale Transformation – Geschäftsmodell-Innovation – agile Organisation – Change-Management, Wiesbaden
Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer

Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer

Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist seit 2005 Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht/Berlin School of Economics and Law. Parallel ist er als Trainer, Coach, sowie als Marketing und Management Consultant tätig. Er war 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Bertelsmann, Volkswagen und der Deutschen Post tätig. Prof. Kreutzer hat durch regelmäßige Publikationen und Keynote-Vorträge (u.a. in Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Singapur, Indien, Japan, Russland, USA) maßgebliche Impulse zu verschiedenen Themen rund um Marketing, Dialog-Marketing, CRM/Kundenbindungssysteme, Database-Marketing, Online-Marketing, Social-Media-Marketing, Digitaler Darwinismus, Digital Branding, Dematerialisierung, Change-Management, strategisches sowie internationales Marketing gesetzt und eine Vielzahl von Unternehmen im In- und Ausland in diesen Themenfeldern beraten. Er ist Autor von über 40 Buchpublikationen. Sein neuestes Buch "Die digitale Verführung" erscheint Anfang 2020. www.ralf-kreutzer.de → LinkedIn → XING

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