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Im ersten Teil meines Beitrags habe ich kurz zusammengefasst, was agile Orga­ni­sa­tionsformen auszeichnet und die grundsätzlichen Bedingungen skizziert, die das Erstarken dieser Organisationsformen fördern. Im zweiten Teil werde ich Ihnen zeigen, dass Agilität mehr als ein „Papiertiger“ ist. Auch etablierte deutsche Firmen wie Daimler entwickeln agile Organisationsformen um in Zukunft überlebensfähig zu sein. So verkündete Daimler-Chef Zetsche kürzlich den Aufbau einer „Schwarmorganisation“. Durch eine Vernetzung von Abteilungsgrenzen und einer Startup-ähnlichen Arbeitsweise mit flachen Hierarchien will der Stuttgarter Autobauer agiler und zukunftsfähiger werden. Wie Sie in diesem Beitrag sehen, gibt es weitere erfolgreiche Beispiele aus der Praxis.


Auf Dauer gesehen bin ich von der Überlegenheit agiler Organisationsformen überzeugt. Ebenso bin ich aber auch davon überzeugt, dass der Weg dahin sehr schwierig ist. Er ist von vielen offenen Fragen gekennzeichnet und wird viele heute etablierte Manager mit dem notwendigen „Mindshift“ (über)fordern. Um auf dem Weg in die Agilität möglichst viele Betroffene sowie Beteiligte mit zu nehmen, braucht es Zeit. Umso wichtiger ist es, seinen eigenen Weg sehr bald zu gestalten und zu gehen. Sonst überholen andere!

Agil und erfolgreich: 2 Beispiele aus unterschiedlichen Branchen

Ja, diese selbstorganisierenden agilen Organisationen funktionieren nicht nur auf geduldigem Papier, sondern auch in der wirtschaftlichen Realität, im jeweiligen Markt. Und es sind nicht nur kleine Start­ups, die sich (einzelner) dieser Mechanismen bedienen (und nicht allzu selten in Wachstums­phasen auch wieder „aus den Augen verlieren“), sondern auch größere Einheiten aus unterschiedlichen Branchen haben erfolgreich agile Organisationsmuster etabliert.

Stellvertretend seien hier nur zwei Unternehmen kurz vorgestellt: Zappos gehört seit 2009 zum Amazon-Imperium und ist einer der größten Onlinehändler für Schuhe und Bekleidung (1.500 Mitarbeiter, 4,7 Mrd EUR Umsatz in 2014). Anfang 2014 begann Zappos auf Initiative und unter Führung des CEO Tony Hsieh das Organisationssystem „Holacracy“ zu implementieren. Im März 2015 forcierte Hsieh die Umsetzung und forderte entsprechende Commitments von seinen Mitarbeitern in einer bemerkenswert offenen Mail ein. So machte er klar, dass es keine Alternative zum eingeschlagenen Weg gebe. Gleichzeitig sei das Ziel aber auch noch nicht in allen Details klar und alle müssten gemeinsam an der Entwicklung geeigneter Lösungen mitwirken.

Haier ist seit einigen Jahren einer der führenden Hersteller für weiße und braune Ware und erwirtschaftete im Jahr 2014 mehr als 32 Mrd US$ Umsatz mit über 60.000 Mitarbeitern weltweit. Mit der Übernahme der Hausgerätesparte von General Electric Anfang 2016 kamen weitere 12.000 Mitarbeiter sowie rund 6 Mrd. US$ hinzu. Seit der Gründung im Jahr 1984 führte CEO und Gründer Zhang Ruimin das Unternehmen 20 Jahre lang klassisch hierarchisch. Im Jahr 2005 rief Haier dann das Geschäftsmodell Rendanheyi (= aktives Verbinden von Unternehmen mit Kunden und von Mitarbeitern mit Nutzern) ins Leben und verfolgt seitdem eine konsequent am Kunden ausgerichtete Qualitätsstrategie. Hierzu wurden maximal 20 Mitarbeiter große Teams aufgestellt und in drei Ebenen nach Kundennähe differenziert. 2015 leitete Haier die nächste Phase ein („Redanheyi 2.0), mit der der Netzwerkgedanke noch tiefer verwurzelt und sogar organisationsübergreifend verankert werden soll. Mitarbeiter werden zu Unternehmern im Unternehmen. Alles mit dem Ziel, die Best-in-Class User Experience zu entwickeln.

Die Digitalisierung ist der Treiber agiler Organisationsformen

Die Notwendigkeit, Unternehmen radikal anders als in der Vergangenheit zu organisieren, wird mit unterschiedlichem Tempo und Heftigkeit jeden Verantwortlichen treffen. Hierbei spielt die fortschreitende Digitalisierung sowohl interner Unternehmensprozesse, als auch in der Unternehmens-Umwelt eine entscheidende Rolle. Die größte Herausforderung liegt meiner Meinung nach in der erforderlichen Bereitschaft, lang ein­ge­übte Verhaltensmuster und eigene Werte zu hinterfragen und zu verändern. Für diese kulturelle Evolution und einen Bewusstseinswandel braucht es starke Vorreiter bzw. Mitstreiter im Sinne von Evangelisten. Dieser Bewusstseinswandel benötigt vor allem auch Zeit: oft genug und verständlicherweise bei einem selbst, aber natürlich auch bei den betroffenen Mitarbeitern. Die Tragweite der postulierten Veränderungen zu realisieren, zu akzeptieren und schließlich zu „umarmen“ dauert!

Die Digitalisierung im Unternehmen, ohne eine Anpassung der Organisationsform, wird i.d.R. nicht von Erfolg gekrönt sein. Change Prozesse auf der Organisationsebene (Implikation Nr. 4 des Implikationsmodells) sind unabdingbar!
Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann daher gar nicht früh genug beginnen. Die Erarbeitung einer Vorgehensweise und die Adaption eines Organisationsmodells für das eigene Unternehmen wird ebenfalls ein Prozess mit vielen Widerständen und Hindernissen. Der Erfolg wird von der Überzeugung und Überzeugungskraft der Leitfigur abhängen.

Fazit

Welche Ausprägungen die Organisationsform von morgen annehmen wird und welche sich in den jeweiligen Umfeldern als „optimal“ herausstellt, ist heute nicht absehbar. Sicher ist, dass die bisherigen Organisationsformen ihre Grenzen erreicht – oder teilweise überschritten – haben. So wie neue Geschäftsmodelle im Rahmen der digitalen Transformation bis dahin etablierte Unternehmen verdrängt haben, werden neue „agile“ Organisationsformen die bisherigen hierarchischen Strukturen ablösen. Bei aller Unsicherheit sollten Manager diesmal couragierter und offensiver mit dieser Herausforderung umgehen und diese als Chance begreifen.

Frank Best

Frank Best

Selbstständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Organisationsentwicklung und Transformationsmanagement. Bis Ende 2015 diverse Beratungs- und Management-Stationen bei dgroup, framfab (LBi), Tektronix und DGM. Zur intellektuellen Balance: Freiberuflicher Fotograf für Architektur, Landschaft und Classic Cars. → LinkedIn → XING

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