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Digitale Ökosysteme spielen eine zunehmende Rolle, wenn es darum geht, das eigene Portfolio und die Marktpositionierung weiterzuentwickeln. Den großen Plattform-Unternehmen (Facebook, Amazon, Microsoft, Apple, Google) steckt die evolutionäre Weiterentwicklung Ihrer Ökosysteme quasi in den Genen. Und auch Herr Elon Musk baut keine Autos, sondern digitale Ökosysteme auf 4 Rädern. Dass man damit auch noch physisch von A nach B kommt ist dabei nur ein einzelner Baustein einer viel größeren Reise – nämlich der Kundenreise.
In diesem Zweiteiler zeige ich Ansätze auf, wie Sie das eigene Portfolio in ein digitales Ökosystem überführen können. Im ersten Teil gehe ich zunächst auf einige wichtige Aspekte digitaler Ökosysteme ein. Basierend auf dem digitalen Reifegrad des Unternehmens skizziere ich dann im zweiten Teil entsprechende Entwicklungs-Szenarien.

Die 3 tragenden Säulen eines digitalen Ökosystems

Es gibt zahlreiche Argumente für den Aufbau eines digitalen Ökosystems. Aus meiner Sicht sind die folgenden 3 Aspekte entscheidend:

1. Customer Experience:

Der Kunde profitiert von adaptiven und komplementären Nutzungserlebnissen. Idealerweise ist zwischen den einzelnen Bausteinen des Ökosystems die Interaktion fließend. Der Kunde wird somit in seinem Beschaffungsprozess entlastet.

2. Erweiterte Wertschöpfung:

Das Unternehmen profitiert von weiteren Bausteinen zur Wertschöpfung, auch außerhalb der eigenen Kernkompetenz. Je granularer das digitale Ökosystem, desto mehr Daten generiert der Kunde. Diese Daten wiederum dienen dem Anbieter als Basis für die Entwicklung weiterer nutzerzentrierter Bausteine.

3. Kundenbindung:

Aus Punkt 1 und 2 entsteht ein Kundenbindungs-Potenzial, welches das Unternehmen gegen den Wettbewerb immunisieren kann. In Folge dessen ergeben sich weitere ökonomische Vorteile für den Anbieter.

Abnehmende Preiselastizität, zunehmender Customer Value, verlängerter Customer Lifecycle

Sind Kunden in einem Ökosystem erstmal über vernetzte Bausteine im wahrsten Sinne des Wortes „verstrickt“, so stellt sich ein messbarer Effekt ein: Die Preiselastizität, bezogen auf die einzelnen Bausteine, nimmt ab! Dafür sind zwei handfeste Ursachen verantwortlich: Zum einen erfährt der einzelne Baustein durch den Netzwerkeffekt des Ökosystems eine Wertsteigerung. Zum anderen spart der Kunde sich den Aufwand, außerhalb des Ökosystems nach kompatiblen Alternativen zu suchen. Der Kunde erfährt einen Mehrwert, indem ihm der Beschaffungsaufwand abgenommen wird. Anders ausgedrückt: „Geiz ist geil, aber Faulheit ist noch viel geiler.“

Es ist übrigens interessant festzustellen, dass die Unternehmen mit der derzeit größten Marktkapitalisierung allesamt Ökosysteme für ihre Kunden entwickelt haben. Und das hat eine handfeste Ursache: Denn das datengetriebene Unternehmen lernt die Bedürfnisse des Kunden durch sein Verhalten im Ökosystem immer besser kennen. Das versetzt die Anbieter in die Lage zusätzliche und individuelle Angebote zu entwickeln. Hier stellt sich auch gleich schon der nächste Effekt ein: Der Customer Value entwickelt sich positiv. (siehe Aspekt 2) Zusätzlich verlängert sich der Customer Lifecycle, vor allem in der Purchasing-Phase. (Aspekt 3)

Die Kraft vernetzter digitaler Inhalte und Services

Aufeinander aufbauende Inhalte und Services sind quasi der Motor digitaler Ökosysteme. Die Schnittstellen zwischen den einzelnen Bausteinen ist das Getriebe. Diese dürfen für den Kunden kaum wahrnehmbar sein und sich erst recht nicht zu einer technischen Barriere auftürmen. Denn dann verliert das Ökosystem schnell eine seiner fundamentalen Säulen: Den oben aufgeführten User Experience Flow. Unterschätzen Sie diesen Aspekt nicht, denn er ist von zentraler Bedeutung! Erfreulicherweise hat sich die Web-Technologie in den letzten Jahren zugunsten einer API-REST Schnittstellen-Struktur weiterentwickelt. Webhooks vernetzen mittlerweile komplexe Cloud-Anwendungen und Blockchain sorgt für die notwendige Datenintegrität und Transfer-Sicherheit. Für den Nutzer vernetzter Anwendungen ergeben sich auf Basis der genannten Technologien insbesondere Komfort, Zeitersparnis und ein steigender Nutzwert.
Bedenken Sie aber: Der Nutzer lernt schnell. Die Erwartungshaltung an den Nutzen und der Interaktions-Qualität des Ökosystems nimmt stetig zu. Umso größer die Enttäuschung, wenn es zwischen den Bausteinen mit dem Datenaustausch und dem User Experience Flow nicht klappt. Gleiches gilt, wenn die einzelnen Bausteine nicht konsequent auf die Bedürfnisse des Nutzers einzahlen.

Ein viel zitiertes Beispiel für ein großartiges Ökosystem mit einer enormen User Experience ist immer noch Apple. Auf dem ersten Blick verkauft Apple in erster Linie physische Produkte: iPhones, iPads, Macs, etc. Die Devices sind im Vergleich zum Wettbewerb hochpreisig. Vergleicht man die technischen Daten der Geräte, so schneiden die Apple Devices oft sogar schlechter ab, als die Geräte der Konkurrenz. Was die Kunden an ein vergleichsweise teures Mobiltelefon bindet, ist das digitale Ökosystem. Wie ein Netz aus Service, Inhalten, Interaktion und fließender Nutzererfahrung spannt es sich um den Kunden auf. Die Strahlkraft der Marke Apple sei hier nicht angezweifelt. Ich bezweifle aber durchaus, ob die Marke ohne ein kraftvolles Ökosystem überlebensfähig wäre.

Wenn die Migration zur technischen und emotionalen Hürde wird

Im Schnitt trägt jeder iPhone Besitzer (um beim Beispiel Apple zu bleiben) 80 Apps mit sich herum. Diese Apps erzeugen für den Nutzer relevante und zum großen Teil auch persönliche Daten. Denken sie diesbezüglich beispielsweise an Inhalte wie Musikstücke und Filme in der iTunes Mediathek oder an das persönliche Fotoalbum. Die iCloud fungiert als personalisierter Datenhub für alle im Ökosystem generierten oder gekauften Daten und Inhalte. Hier entsteht einen Datenhoheit, die zusätzlich vor einer Abwanderung zum Wettbewerb immunisiert.
Denn der Migrationsaufwand auf einen anderen Anbieter wird mit zunehmender Nutzung des Ökosystems immer umfangreicher. Wer schon mal im Business-Kontext eine System-Migration durchgeführt hat, weiß wie hoch die Aufwände und emotionalen Hürden sind. Und genau das Gleiche passiert auch im privaten Bereich, wenn es darum geht, von dem einen Ökosystem in ein anderes wechseln zu wollen.

Auch kleine Ökosysteme generieren Vorteile

Um nicht immer dieselben amerikanischen Vorzeige-Unternehmen zu zitieren, darf man auch ruhig mal einen Blick auf den deutschen Mittelstand richten. Auch wenn das digitale Ökosystem von VORWERK noch vergleichsweise einfach gehalten ist, hat die Marke ihr schon vorhandenes Ökosystem erfolgreich digitalisiert. Mit dem Thermomix hat VORWERK ein IoT Ökosystem geschaffen, welches den Nutzwert der Hardware (Thermomix) um digitale Inhalte und Services erweitert. So integrierte VORWERK auf Basis eines internetfähigen Gerätes, u.a. ein Rezept-Abonnement und eine Community. Mit der Rezept-Plattform, “Cookidoo” ist dabei nicht nur ein zusätzlicher Mehrwert für den Kunden entstanden, sondern ein voll integriertes Businessmodell. Die Rezept-Datenbank ist quasi das iTunes von VORWERK. Der Nutzen generiert sich aus der Anwendung der Rezepte direkt mit dem IoT-fähigen Gerät. VORWERK schafft so einzigartige Produkt-Erlebnisse in einem einzigartigen Ökosystem, in dem die Bausteine direkt aufeinander aufbauen. Gleichzeitig lernt VORWERK mehr über die Koch- und Essgewohnheiten Ihrer Kunden. Erkenntnisse die ein datengetriebenes Unternehmen direkt in die Entwicklung neuer Produkte, Inhalte und Services einfließen lassen kann.

Fazit:

Es ist höchste Zeit sich mit der Charakteristik digitaler Ökosysteme auseinanderzusetzen und auf das eigene Business Modell bzw. auf das eigene Unternehmen zu reflektieren. Denn ein auf nachhaltige Kundenbeziehungen ausgelegtes Ökosystem bindet den Kunden an das Unternehmen. Die damit einhergehenden Vorteile liegen auf der Hand: Das Unternehmen ist weniger anfällig gegen Wettbewerbsdruck, Preis-Abwärts-Spiralen und einem multi-optionalen Kundenverhalten. Doch welche Rolle kann und will das Unternehmen in einem digitalen Ökosystem spielen? Und noch viel wichtiger: Wie sieht der Weg dorthin aus? Diesen Fragen gehe ich im zweiten Teil des Artikels nach.

Dirk Majchrzak

Dirk Majchrzak

Dirk Majchrzak ist Initiator und Herausgeber des Digital Directors Blog. Als Kommunikationswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Marketing ist er seit über 20 Jahren in als Agentur CEO, Managing Partner und Consultant für digitale Strategien tätig. Seine Expertise ist in der strategischen und konzeptionellen Entwicklung digitaler Marken-Kommunikation, sowie der digitalen Marketing-Transformation und der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle begründet. Weitere Infos finden Sie auf der Seite ->Herausgeber.

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