Im ersten Teil meines Zweiteilers zu digitalen Ökosystemen, habe ich deren grundlegende Charakteristik aus einer marktbezogenen Sicht dargestellt. Im zweiten Teil erläutere ich drei Strategien zur Implementierung bzw. Entwicklung eines eigenen Ökosystems.
Tipp:
Sollten Sie den ersten Teil noch nicht gelesen haben, geht es hier zum Artikel.
1.Teil – Digitalen Ökosystemen gehört die Zukunft
Vom Multichannel-Unternehmen zum digitalen Ökosystem
Unternehmen, die bereits im Marketing-Kontext auf einer Multi-Channel Infrastruktur aktiv sind, haben es mit Sicherheit leichter, den nächsten Schritt zum Ökosystem zu gehen. Denn Unternehmen mit einer exekutierten Multichannel-Strategie haben bereits wertvolle Learnings in Bezug auf die Customer Experience in digitalen Kanälen erworben. Wenn das Management in den letzten 10 Jahren die richtigen KPI aufgestellt hat, sollten auch schon aussagekräftige Kundendaten vorhanden sein. Umgekehrt sind die Kunden mit der digitalen Interaktion des Anbieters schon vertraut. Beste Voraussetzungen also, die Multichannel-Infrastruktur zum digitalen Ökosystem auszubauen.
In der Kommunikation bisher eher eindimensional operierende Unternehmen haben definitiv den weiteren Weg vor sich. Sie müssen die Learnings aus der Multi-Channel Kommunikation nachholen. Und auch die Kunden sind mit der digitalen Interaktion eines eher traditionell agierenden Unternehmens noch nicht vertraut. Die fehlenden Daten aus dem oben erwähnten Szenario stellen ein Vakuum dar, welches nicht so einfach aufgefüllt werden kann. Die “Aufholjagd” könnte allerdings bei diesem Szenario über ein digitales Spin Offs bzw. Innovation-Labs zielführender und schneller erfolgen, als ein langwieriger Transformationsprozess des Unternehmens.
Tipp:
Lesen Sie zum Innovationsmanagement einmal den Artikel vom Kollegen Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer: Verfügen Sie schon über einer Innovation-Engine neben ihrer Performance-Engine?
Unabhängig davon, ob das Unternehmen bereits als Multichannel-Unternehmen aktiv ist, empfehle ich zunächst den folgenden Status Quo zu ermitteln:
- Status Quo in Bezug auf die digitale Reife des Unternehmens:
Wie stark ist die Zielgruppe bereits an die digitale Infrastruktur des Unternehmens angebunden? Hierfür bedarf es einer entsprechenden Analyse der Infrastruktur und der mehr oder weniger strukturierten Kunden-/ und Interaktionsdaten. Wie weit sind digitale Plattformen bzw. Kanäle und Customer-Insights bereits qualitativ entwickelt? Was kann das Unternehmen mittelfristig leisten, um die bestehende Infrastruktur um wertschöpfende Bausteine weiterzuentwickeln? Welche Erfahrungen und Ressourcen (technologisch, rechtlich, prozessual) sind für die Orchestrierung plattformübergreifender Services bereits im Unternehmen vorhanden? - Portfolio Lifecycle Status:
Das gesamte Portfolio sollte einer Prüfung unterzogen werden. Diese Fragen sind von zentraler Bedeutung: Können neue additive, digitale oder komplementäre Leistungen einen sinnvollen zusätzlichen Kundennutzen generieren? Oder benötigt das Portfolio eventuell vollkommen neue Produkte und Dienstleistungen, die nur indirekt an vorhandene Produkte zu koppeln sind? Kann die Marke vor dem Hintergrund der eigenen Markenstärke auch neue Leistungen über Dritte integrieren, ohne dabei zu verwässern, bzw. an Strahlkraft zu verlieren? Eine Product-Lifecylcle Matrix kann hier ebenfalls helfen, den Status zu bewerten und ggf. Potenziale in den einzelnen Segmenten zu verorten.
Implementierungs-Strategien für digitale Ökosysteme
Die hier dargestellten Implementierungs-Strategien bilden 3 mögliche Ansätze ab.
Die Ansätze lassen sich einfach über 2 Dimensionen abbilden. Erstens: Offenes Ökosystem (Plattform-Charakter) oder geschlossenes Ökosystem. Zweitens: Eigene Infrastruktur oder Fremdsysteme? In dem unten aufgeführten Chart werden die Ausprägungen der beiden Dimensionen über die X- und Y-Achse abgebildet.
Je nach Strategie sind die damit verbundenen Stärken bzw. Schwächen unterschiedlich ausgeprägt.
Das Chart verdeutlicht die gegenläufigen Vor- bzw. Nachteile bestimmter Aspekte, welche sich je nach Strategie eher progressiv oder degressiv verhalten. Die hinter den Strategien stehenden Umsetzungskonzepte sind in Ihrer detaillierten Ausprägung individuell. Deshalb sind die Übergänge fließend. Je nach Reifegrad und Portfolio Status Ihres Unternehmens werden Sie mit Hilfe des Charts erste Hinweise für die richtige Strategie ableiten können.
Die Achse „Eigen-Systemanteil“ repräsentiert den Grad der eigenen technologischen Infrastruktur. Die Achse „Fremd-Systemanteil“ repräsentiert den Nutzungsgrad etablierter Plattformen.
Grüne Linie (progressiv): Time-to-Market, Netzwerkeffekt, Standardisierung, Abstrahl-Effekt (Marke, positiv wie negativ), Technologietransfer, Prozess-Standards, etc.
Gelbe Linie (degressiv): Kontrolle, Brand-Experience, Datenhoheit, Entwicklungskosten, Individualisierung von Geschäftsmodellen, etc.
Strategie 1: Vertikaler Integrator
Der vertikale Integrator hat die komplette Wertschöpfungskette in der eigenen Hand, maximale Kontrolle über die Brand-Exekution und das Kundenerlebnis. Oftmals handelt es sich hierbei um geschlossene Systeme, d.h. weitere Marktteilnehmer sind in den Business-Modellen nicht integriert.
Unternehmen die bereits über eine funktionierende Multichannel-Infrastruktur verfügen, können darauf mit weiteren digitalen Services, Inhalten und Produkten aufsetzen und somit Wertschöpfung und Kundenerlebnisse ausbauen. Hier steht die Autonomie und Abgrenzung des Ökosystems gegenüber dem Wettbewerb im Vordergrund. Das digitale Ökosystem von VORWERK (Link: siehe Teil 1:) wäre hier ein mittelständisches Beispiel.
Strategie 2: Hybride Modelle
Bei hybriden Ökosystemen wird das Kernportfolio auf einer eigenen Infrastruktur abgebildet. Zusätzliche Wertschöpfungs-Bausteine werden durch Dritte entweder auf der eigenen Infrastruktur integriert, oder über Fremdsysteme bezogen. Diese Ökosysteme haben meist einen offenen Marktplatz-Charakter. Der vertraglichen Gestaltung zwischen den Partnern kommt dabei eine erfolgskritische Bedeutung zu: Die Spielregeln innerhalb eines Ökosystems müssen von den Partnern akzeptiert und eingehalten werden. So zum Beispiel bei der Einhaltung von Qualitätsstandards. Nur so läßt sich aus Kundensicht ein Mehrwert durch eine optimale Nutzungsqualität erleben. Ein prominentes Beispiel wäre hier Apple. Apple bindet über einen offenen Marktplatz (App-Store) weitere Marktteilnehmer an das eigene Ökosystem an, setzt aber bestimmte vertraglich geregelte Standards als Bedingung.
Apple verliert aber auch ein Stück weit die Kontrolle über die digitalen Assets (Apps) erhält aber im Gegenzug ein grenzenloses Potenzial an zusätzlichen Anwendungsnutzen für deren Produkte (iPhones, Ipads).
Strategie 3: Fremd-Plattformen
Bei dieser Strategie nutzt das Unternehmen so viele Fremd-Plattformen wie möglich und erzielt somit schnell eine hohe Marktdurchdringung und Netzwerk-Relevanz. Diese Strategie bietet sich insbesondere dann an, wenn ein schneller Markteintritt erfolgskritisch ist und die eigenen Produkte bzw. Dienstleistungen einen hohen komplementären Nutzen in anderen Kontexten bereitstellen. Die Kontrolle über die Kundendaten und Gestaltung der User Experience ist allerdings eingeschränkter als bei den anderen beiden Strategien. Für etablierte Brands könnte zudem die Marken-Autorität nicht nur operativ, sondern auch aus der Wahrnehmung des Kunden verloren gehen. Startups und Spezialanbieter profitieren andererseits vom Markenvertrauen etablierter Plattformen und von deren Netzwerkeffekten. Die Entwicklungskosten sind auf einem deutlich niedrigeren Niveau als bei Strategie 1 oder 2.
Fazit:
Digitale Ökosysteme helfen in einer nie dagewesenen Qualität, die eigenen Leistungsbausteine in unterschiedliche Nutzungs-Kontexte zu integrieren. Je mehr sich dabei ein Unternehmen mit den Bedürfnissen seiner Kunden verzahnt, desto relevanter wird das Ökosystem. Die hier skizzierten Implementierungsstrategien orientieren sich zu einem hohen Maße an der digitalen Reife eines Unternehmens. Außerdem muss die zukünftige Positionierung aus dem Portfolio des Unternehmens abgeleitet werden. Für das eine Unternehmen mag der vertikale Integrator eine zielführende Strategie darstellen und ohne große Anstrengungen umsetzbar sein. Für das andere Unternehmen hingegen, kann die Nutzung einer Reihe von Fremd-Plattformen, die erfolgskritische Marktdurchdringung bedeuten. Die Strategie-Frage ist auf jeden Fall vorweg zu stellen und die sich ergebenden Szenarien sollten in einer Art Prototyping validiert werden.