Teil 2 unserer Serie zum wertorientierten Kundenmanagement mit Prof. Dr. R. T. Kreutzer
Im 1. Teil unserer Serie zum wertorientierten Kundenmanagement legten wir den Fokus auf die Treiber des Kundenwertes und damit eng verbunden den aussagekräftigen KPI im Noline-Marketing. Im 2. Teil der Serien widmen wir uns den häufigen Fallstricken bei der Operationalisierung der Kundenwert-Ermittlung.
Tipp:
Den 1. Teil unserer Serie mit dem Titel „Noline-Marketing: Mit den richtigen KPI – richtig effizient“ finden Sie hier.
Die kontinuierliche Ermittlung des Kundenwerts stellt die Grundlage für das bereits angesprochene wertorientiertes Kundenmanagement dar. Im Kern geht es um die Auswahl und Bearbeitung profitabler Kundenbeziehungen. Das wertorientierte Kundenmanagement umfasst zwei wichtige Aufgaben: die Auswahl der zu gewinnenden und zu haltenden Kunden sowie die Ausgestaltung der Kundenbetreuung selbst.
Die Aufgaben eines wertorientierten Kundenmanagements sind folglich die Selektion, der Aufbau, die Ausgestaltung, die Erhaltung und Pflege wie auch die Beendigung von Geschäftsbeziehungen zu einzelnen Kunden oder Kundengruppen. Über diese Maßnahmen entscheiden Sie auf der Basis der Wertbeiträge, die einzelnen Kunden oder Kundengruppen für Ihr Unternehmen erwirtschaften. Diese Wertbeiträge werden als Kundenwert bezeichnet.
Analysiert man heute in Unternehmen, in welcher Weise der Wertbeitrag einzelner Kunden operationalisiert wird, dann zeigt sich – aus meiner Sicht zu oft – das folgende Bild:
Fallstrick Nr. 1
- Teilweise finden sich lediglich Unterscheidungen zwischen guten und schlechten Kunden, wobei die konkrete Bedeutung der Attribute unklar bleibt. Auch die Klassifizierung von Groß- und Klein-Kunden hilft nicht wirklich weiter. Hinter dieser Einteilung verbirgt sich zudem häufig die nicht immer zutreffende Annahme, dass ein größerer Kunde automatisch auch ein profitablerer Kunde sei. Zusätzlich wird bei der Gruppierung von Kunden auch auf die Länge der Kundenbeziehung, die Weiterempfehlungsrate, die Kommunikationsintensität und weiteres abgehoben, ohne die jeweilige Beziehung zur Profitabilität der Kunden ausreichend zu ermitteln.
Fallstrick Nr. 2
- Die Unterscheidung zwischen Lauf- und Stammkunden kennzeichnet zwar ein Verhaltensmerkmal der Kunden; sie sagt aber nichts über Umsatzhöhen und erzielte Deckungsbeiträge aus. Ebenso wenig ist die Unterscheidung zwischen Online- und Offline-Kunden hilfreich, weil auch hier die Frage nach den durch die Kunden erwirtschafteten Ergebnissen unbeantwortet bleibt.
Fallstrick Nr. 3
- Bei der etwas häufiger verwendeten ABC-Analyse wird die Verteilung der Kunden meist in Abhängigkeit von deren Umsatzhöhe und seltener in Abhängigkeit von erzielten Deckungsbeiträge dargestellt. So können spannende Konzentrationseffekte ermittelt werden, bspw. wie viel Umsatz von wie vielen Kunden abhängt. Allerdings wird bei den meisten ABC-Analysen das zurückliegende Verhalten (d.h. vergangene Umsätze oder Deckungsbeiträge) bewertet.Bei einem solchen Blick auf die Daten der Vergangenheit bleiben zukünftige Umsatz- und/oder Ergebnisträger, die gegenwärtig noch im B- und C-Segment zu finden sind, häufig unerkannt. Gleichzeitig werden Kunden mit hohen Umsätzen und/oder Deckungsbeiträgen in der Vergangenheit besonders belohnt. Allerdings gilt: Wer bei Ihnen gerade ein Auto, eine langlebige Maschine, ein Hochzeits-Outfit oder eine Küche erworben hat, wird meist nicht in naher Zukunft ähnlich hohe Umsätze bei Ihnen tätigen! Für Unternehmen dagegen, die sich auf FMCGs oder kürzer lebende Gebrauchsgüter (bspw. auch Mode, Stichwort Fast Fashion) konzentrieren, stellt der bisherige Umsatz dagegen einen guten Indikator für zukünftige Umsätze dar.
Kundenwert-Ermittlung: Den wichtigsten Kunden auf der Spur
Durch die Errechnung der Kundenwerte werden Sie in Ihren Kundenbeständen auch Ihre wichtigsten Kunden entdecken. Dies sind meist nicht die lautesten Kunden, die immer eine „Sonderlocke“ erwarten. Häufig sind es auch nicht die Kunden, die die höchsten Umsätze erzielen – und dafür Sonderrechte einfordern. Gleichzeitig werden Sie vielfach auch erkennen, dass sich auch bei Ihren Kunden der sogenannte Pareto-Effekt (auch 80:20-Regel) zeigt. Diese „Regel“ basiert auf der Erkenntnis, dass es in allen Lebensbereichen Konzentrationseffekte gibt, die Sie erkennen sollten. So erwirtschaften häufig lediglich 20% der Kunden bereits 80% des Umsatzes eines Unternehmens. Oder 20% aller Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens erzielten 80% des Umsatzes oder 80% des Gewinns. Entscheidend ist nicht, ob jeweils die Relation „20:80“ erzielt wird. Wichtig ist vielmehr die Erkenntnis, dass bei vielen Phänomenen keine Gleichverteilung vorliegt. Dies sollte sich auch in Ihrer Kundenbetreuung niederschlagen.
Die 5 häufigsten Fehler bei der Kundenwert-Ermittlung
Damit Sie zu einer überzeugenden Kundenwert-Ermittlung und einer darauf basierenden Kundenklassifizierung kommen, sollten Sie die in Abb. 1 in der ersten Spalte genannten und hier vertieften Fehlerquellen einer Kundenwert-Ermittlung in jedem Falle vermeiden:
- Häufig findet eine Kundenwert-Ermittlung ex post – also im Nachhinein – statt. Hierbei wird nicht hinterfragt, ob das in der Vergangenheit gezeigte Kaufverhalten auch in der Zukunft zu erwarten ist. Kunden, die gerade viel gekauft haben, werden dann als „wertiger“ eingestuft als solche Kunden, die in den nächsten Monaten größere Käufe tätigen könnten.
- Es werden vielfach statische Modelle genutzt, die davon ausgehen, dass sich das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten nahtlos in die Zukunft verlängern lässt. Das ist vielfach allerdings nicht der Fall, weil Kunden bspw. in Abhängigkeit von ihren finanziellen Möglichkeiten in Zukunft mehr oder weniger einkaufen könnten.
- Ein undifferenzierter Ansatz liegt vor, wenn lediglich größere Kundengruppen analysiert werden, aber keine Analyse auf Einzelkundenbasis vorgenommen wird. So können unterschiedliche Entwicklungen in der „gleichen“ Kundengruppe unerkannt bleiben.
- Bei der Kundenbewertung wird vielfach nicht berücksichtigt, über welchen Akquisitionsweg ein Kunde angesprochen und welches initiale Angebot ihm unterbreitet wurde, um ihn zum Erstkauf zu motivieren (Aktionsunabhängigkeit der Bewertung).
- Außerdem wird häufig ein eindimensionaler Ansatz verwendet, bei dem lediglich ein einziges Kriterium zur Ermittlung des Kundenwertes herangezogen wird. Häufig ist dies der Umsatz, ohne zu berücksichtigen, dass dieser nicht bei allen Kundengruppen positiv mit dem Deckungsbeitrag korreliert. Außerdem werden bei der Konzentration auf ein einziges Kriterium weitere wichtige Aspekte, die sich auf den Kundenwert auswirken, nicht berücksichtigt.
Die in der Abbildung beschriebenen Fehlerquellen wirken sich nachteilig auf die verschiedenen Phasen des Kundenmanagements aus:
- Defizite in der Kundenakquisition
Durch eine fehlerhafte Kundenwert-Ermittlung werden u.U. auch in Zukunft Kunden gewonnen, die keine oder negative Deckungsbeiträge für Ihr Unternehmen erwirtschaften. Dies ist vor allem im E-Commerce häufig der Fall. Hier wird auch von marginale – i.S. von grenzwertigen – Kunden gesprochen, bei denen Gewinn- bzw. Verlusterzielung nahe beieinander liegen. Solche Kunden kaufen bspw. nur Schnäppchenangebote, Reklamieren regelmäßig auch in unberechtigten Fällen, missbrauchen eingeräumte Umtauschmöglichkeiten und/oder kommen ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach. Außerdem werden möglicherweise weiterhin auch solche Kommunikationskanäle, Angebote zur Neukundengewinnung und/oder spezifische Anreizmechanismen eingesetzt, durch die in der Vergangenheit vor allem solche marginalen Kunden angesprochen wurden. Dies sollten Sie bei einem wertorientierten Kundenmanagement in jedem Falle vermeiden.
- Defizite in der Kundenentwicklung
Durch eine ungenügende Kundenwert-Ermittlung bleibt More-, Up- und Cross-Sell-Potenzial unerkannt und damit auch unausgeschöpft. Dann werden bspw. Mailings, E-Mails, Push-Nachrichten oder Retargeting-Ansätze auf umsatzstarke Kunden ausgerichtet, die keinen Mehrumsatz mehr leisten können. Dagegen unterbleiben werbliche Anstöße an solche Kunden, die bisher nur einen geringen Umsatz getätigt haben – aber noch ein größeres Umsatzpotenzial aufweisen. Außerdem wird ein möglicher Informations-, Referenz- und Produktionswert von Kunden nicht genutzt, weil dieser bei der Bewertung ignoriert wird. Allerdings sollten Kunden als wichtige Informationsquelle sowie als Multiplikator für die eigenen Leistungen (Stichwort Freundschaftswerber oder Influencer in den sozialen Medien) nicht unterschätzt werden. Außerdem können Kunden in den Produktionsprozess eingebunden werden und hierdurch weiteren Wert für das Unternehmen generieren.
- Defizite in der Kundenrückgewinnung
Ohne eine umfassende Berücksichtigung des Kundenwertes wird bspw. durch Mailings, E-Mails oder Push-Nachrichten versucht, marginale Kunden zurückzugewinnen – obwohl das Unternehmen mit ihnen in der Vergangenheit nicht viel Freude hatte. Oder Sie setzen für die Rückgewinnung die falschen Kommunikationskanäle, ungeeignete Angebote und/oder Anreizmechanismen ein, die sich in der Vergangenheit zur Steigerung des Kundenwertes nicht bewährt haben. Ein Phänomen, das noch zu häufig unerkannt bleibt.
Fazit:
Mit der steigen Anzahl der möglich Kunden-Kontaktpunkte in einer zunehmend komplexeren Customer Journey, steckt der Fehler bei der Kundenwert-Ermittlung im Detail. Die generierten Kennzahlen werden oft nicht „weit genug“ interpretiert, was zu einer Fehlinterpretation der Daten führt. Schlimmstenfalls werden folglich die falschen Entscheidungen in Bezug auf bestimmte Marketing-Maßnahmen oder Kundengruppen getroffen.
Im 3. Teil unserer Serie zeigen wir, wie Sie das voll Potenzial der Kundenwert-Methode nutzen.
Tipp:
Mehr zu diesem Thema im nächsten Beitrag hier auf dem Digital Directors Blog – oder schon jetzt in meinem neuen Buch: Kundendialog online und offline
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